Einführung: „SpielRaum“,

Galerie149, Bremerhaven, Dagmar Bosse

„What you see, is what you see“, was Sie sehen, ist, was Sie sehen – mit diesem berühmt gewordenen Satz postulierte der amerikani­sche Künstler Frank Stella in den 60er Jahren das Wesen seiner analytischen Malerei: die absolute Objektivität des Kunstwerks, seine Reduktion auf formale Gestaltung unter Ausschluss alles Gegenständlichen, Symbolischen, Metaphorischen, Narrativen.

Mit zum Teil rigoroser Konsequenz hatten auch die Künstler der wesensverwandten  Minimal Art die „reine“ Kunst zu erschaffen gesucht, meist auf mathematisch-geometrischen Grundlagen beru­hend, von nüchtern-schematischer Logik – allein dem gesetzmäßig harmoni­schen Zusammenspiel von Form und Farbe verpflichtet, eine Kunst, die „nur sich selbst“, die „Idee von der Kunst selbst“ zum Inhalt hatte.

Diese auf ihre geometrischen Grundstrukturen reduzierten Körper, die uns seither aus der Kunst des Minimalismus vertraut sind – die Würfel, Quader, Platten und Stelen, stets kon­stru­iert aus strengen Rechtecken und Quadraten, mit exakten 90°-Win­keln und parallelen Kanten – begegnen uns auch hier, in der mit „SpielRaum“ überschrieben Ausstellung der Künstlerin Debora Kim:

Als Module mehrteiliger Körper-Ensembles und -Reihen, stapeln sich Kuben zu hochaufragenden, monumentalen Pfeilern, lehnen grazile Stelen in perfekter Parallelität und exakt bemessenen Abständen an der Wand. Quadratische Platten ordnen sich zu einem großen Rechteck; eine Gruppe zahlreicher kleiner Tafeln formiert sich in strenger Ordnung zu einem langen akkurat waagerecht laufenden Band, das sich über mehrere Wände zieht …

In wenigen unterschiedlichen Varianten, zumeist zu Reihen oder Gruppen geordnet, in vertikaler oder horizontaler Ausrichtung gliedern diese geometrisch einfachen Körper die Wände und Fußbö­den, organisieren den Raum um sich her, rhythmisieren die Aus­stel­lungsflächen und -räume in ihrer plastischen und spatialen Qualität.

In der formalistischen Nüchternheit seiner Elemente, der konstruktivistischen Strenge seines Aufbaus – vermittelt jedes dieser modularen Systeme den Eindruck unerschütterlicher Stabilität und Ausgewogenheit: Solide in sich ruhend, stehen, lehnen oder hängen die Werke da, in perfekter Balance und wie von tiefer mathematischer Harmonie durchströmt.

Und doch scheint bei näherem Hinsehen auf den Oberflächen der Körper eine leise Bewegung wahrnehmbar, als pulsiere ein heimliches Leben unter ihrer Außenhaut.

Diese Haut, die all die Körper sichtbar umgibt, das ist die dünne Schicht farbiger Garne, mit denen Debora Kim alle ihre Objekte umwickelt hat: Mit äußerster Sorgfalt und in handwerklicher Perfektion, einer strenger Gesetzmäßigkeit folgend, einen Faden sauber neben den anderen gelegt, lückenlos und ohne Überlagerungen, in präziser Parallelität umspannen diese Garne die Körper, hüllen sie fest ein, wie ein enganliegendes textiles Gewebe.

Und diese Hüllen aus Garn sind es, die die Arbeiten Debora Kims deutlich hervortreten lassen vor dem oben zitierten kunsthistorischen Hintergrund des Minimalismus. Denn anders als die von den Minimalisten bevorzugten Werkstoffe – der Industrie entlehnte Metalle und Kunststoffe -, die den Objekten die kalte Sachlichkeit serieller Produktion verleihen sollten, ist das Garn ein weiches, schmiegsamen und wärmendes Material, ein Material, das in der Regel zu Tuch gewebt und zu wärmender und schützend-umhüllender Kleidung, zu Umhängen, textilen Überzügen und Decken verarbeitet wird.

Dergestalt assoziativ-symbolisch aufgeladen markiert die spezifische Materialität des Werkstoffs Garn einen deutlichen Bruch mit dem kühlen Formalismus der minimalistischen Kunst, die in ihren Werken namentlich die Kälte als Qualitätsmerkmal eines modernen technologischen Zeitalters verwirklicht sehen wollte.

Wenn Debora Kim die harten, scharfkantigen Körper, die im Kern meist aus industriell produzierten Holzfaserplatten gefertigt sind, mit Garn umkleidet, umhüllt und verhüllt, verleiht sie ihnen einen starken sinnlichen Reiz, mit dem sie den strengen Purismus ihrer nüchternen Geometrie konterkariert. Die taktile Qualität des Materials evoziert sensuelle Bedürfnisse, um zugleich vor der Verletzlichkeit dieser subtilen Hüllen zurückschrecken zu lassen.

Um die Trias der drei Gestaltungsparameter zu komplettieren, tritt zu Form und Material nun als drittes die Farbe: Die Farbe ist ein integraler Bestandteil des Werkstoffs Garn.

Debora Kim verwendet Garne ganz unterschiedlicher Farben. Zwar sind es stets sorgfältig einzeln ausgewählte Töne, die dann oft in serieller Wiederholung in Erscheinung treten, doch schöpft die Künstlerin aus dem gesamten Farbspektrum: Neben Schwarz und Weiß finden sich mehrere Rot-, Blau-, Gelbtöne, dazu ein paar Mischfarben: Grün, Orange, Braun; teils sind es leuchtend satte Spektralfarben, teils gebrochene Töne. Stets jedoch sind sie zu einem kontrastreichen Gesamtbild geordnet.

Die Farbe ist für die Arbeit Debora Kims von konstitutiver Qualität. Ob im raschen Wechsel der unbunten Farben Schwarz und Weiß, oder im Zusammenspiel von intensiv-strahlenden und stark gebrochenen Tönen: Der koloristische Reiz entspringt dem spannungsgeladenen Nebeneinander unterschiedlicher Farben in akkurat abgezirkelten Flächen.

Dabei greift die Künstlerin abermals auf die Gestaltungsmerkmale kunstgeschichtlicher Strömungen der 60er Jahre zurück: Reminiszenzen an die Streifenbilder Barnett Newmans oder Agnes Martins drängen sich auf; evident istauch die Nähe zu den Plastiken der amerikanischen Bildhauerin Anne Truitt, ihren durch farbige Querstreifen in waagerechte Zonen unterteilten Stelen und Pfeilern.

Die deutliche Abgrenzung von diesen kunsthistorischen Vorläufern geschieht abermals über die Wahl des Materials und seiner spezifischen Qualität und Handhabung: Die Hüllen aus gewickeltem, weich-faserigem Garn, die Debora Kim den glatten Oberflächen homogen ausgemalter Farbfelder entgegensetzt, lassen zarte reliefartige Strukturen entstehen, in denen das Licht sich fängt, teils zurückstrahlt, teils in den feinen linearen Vertiefungen sich verliert.

Und während das Licht, auf den subtil-räumlichen Textilgebilden spielt, geraten die Flächen gleich schwingenden Membranen in rhythmische Bewegung: Ein leichtes Flimmern dynamisiert diese Häute. Und obgleich auf Täuschung des Auges beruhend, so zeugt diese subjektiv wahrnehmbare Bewegung doch von Lebendigkeit: Mit den vitalen Häuten aus Garn erweckt die Künstlerin die vermeintlich leblosen Körper, diese scheinbar nüchternen Manifestationen mathematischer Ideenkonstrukte, zum Leben und gibt sie zugleich – aller physischen Präsenz und soliden Statik zum Trotz – einer empfindlichen Verletzlichkeit preis.

Von winzigen Härchen reflektiert, überzieht das Licht ihre Oberflächen mit einem leisen Schimmer, der ihre haptische Qualität zurückzunehmen, sie einem – wenngleich visuellen – „Zugriff“ wieder zu entziehen scheint. Die Lineatur der Fäden verschwimmt vor den Augen, verdichtet sich zur unruhig flimmernden Fläche, und doch ist der Raum keine Illusion. Das wird dort besonders deutlich, wo die räumlichen Lineaturen und mit ihnen das Licht ihre Verlaufsrichtung ändern.

Wie sonst gelänge es Debora Kim in ihrer rein schwarzen Arbeit, die meisterhafte Koloristik der schwarz-monochromen Malerei, der „black paintings“, etwa Ad Reinhardts oder Frank Stellas so kongenial zu adaptieren? Konstruiert aus 20 quadratischen Platten mit abwechselnd vertikaler und horizontaler Garnwickelung, erhält ihr schwarz-monochromes Farbfeld seinen enormen koloristischen Duktus allein aus dem Wechselspiel des Lichts auf den alternierenden räumlichen Lineaturen.

Dass Debora Kims gewickelte Garnhüllen der Farbe als Gestaltungsmittel nicht bedürfen, um die Körper in Schwingung zu ver­setzen, ihre Oberflächen zum Sprechen zu bringen, hat die Künstlerin hier eindrucksvoll bewiesen. Dennoch hat die Farbe im Repertoire ihrer künstlerischen Mittel einen prominenten Platz.

Wird die Gruppe an der Wand lehnender Stelen mit ihren gleichmäßigen Farbumwicklungen frontal als ein Ganzes betrachtet, so ergibt sich eine buntgewürfelte Fläche, die sich aus über 1000 quadratischen Einzelfarbfeldern zusammensetzt, und die ein wenig an eine grob zerpixelte Rastergrafik erinnert.

Welchem System aber gehorcht die Anordnung dieser gerade mal sieben, in alternierendem Rhythmus immer wiederkehrenden Farben? Oder auch die der zahlreichen verschiedenfarbigen Streifen des langen Bands, das aus 126 kleinen garnumwickelten Bildtafeln sich zusammensetzt?

Die Verlaufsrichtung dieser Streifen ist stets die Horizontale; ihre Breite jedoch variiert, wie auch ihre Farbe. Seriell kombiniert, in scheinbar immer wiederkehrenden, nur leicht abgewandelten Formationen, können sie doch nicht willkürlich gesetzt sein, sondern müssen – so scheint es – einem verborgenen Schema folgen.

Unwillkürlich drängt sich die Vermutung auf, hier auf einen geheimen Code gestoßen zu sein, den zu entschlüsseln, die Künstlerin uns, den Betrachtern, aufträgt.

Mit seiner zeilenartigen Verlaufsform erinnert das horizontal komponierte Farbband an Schriftzüge oder gedruckte Textzeilen, wohl auch an die Partitur zu einer vielstimmigen Komposition. 

Und sogleich bieten sich zahlreiche weitere Assoziationsfelder an:

Fahnen und Flaggen etwa, gebrauchen von jeher farbige Flächen und Streifen als Codes zur visuellen Übertragung von Botschaften.

Aber auch moderne Daten-Codes lassen sich assoziieren: Die Abfolgen verschieden breiter schwarzer und weißer Streifen, wie sie hier auf etlichen der kleinen Tafeln zu sehen sind und den einen der monumentalen Pfeiler gänzlich umkleiden, erinnern an die nüchternen Barcodes der Warenverpackungen, die ohne den Einsatz elektronischer Lesegeräte allerdings gar nicht zu entschlüsseln sind.

Auch mag sich mancher von der buntgewürfelten Farbläche der 35 Stelen und ihrem unergründlichen Ordnungssystem an den mittlerweile allgegenwärtigen Data-Matrix-Code erinnert fühlen, der mit der Handy-Kamera gescannt werden kann, sich der Entzifferung durch genaues Hinschauen und Nachdenken jedoch entzieht.

Ähnlich geht es uns mit den Chiffren, die wir im Werk Debora Kims finden.

Die Hoffnung, durch genaues Hinschauen und Nachdenken in den kryptischen Farbreihungen und -feldern ein dekodierendes Schema ihrer Anordnung zu entdecken, speist sich aus der Idee, wunderbaren geheimen Botschaften auf der Spur zu sein, die sich in ihnen verbergen.

Aber die Hoffnung auf Dekodierung ist trügerisch.

Und so müssen wir zufrieden sein mit dem, was wir sehen, und all dem, was als Möglichkeit in dem Sichtbaren angelegt und daher denkbar und spürbar ist.

„What you see, is what you see“, was Du siehst, ist was Du siehst – mit diesem Diktum, das eine rigorose Objektivierung der Kunst postuliert, habe ich diesen Versuch eingeleitet, mich dem künstlerischen Werk Debora Kims zu nähern.

„What you see, is what you see“ – dieser Satz, der sich zum er­klär­ten Ziel setzt, alles Symbolische und Metaphorische, Gefühl und Sinnlichkeit, Lyrik und Dramatik aus der Kunst auszschließen, diesem Art-as-art-Standpunkt, dem die geometrischen Körper und strengen Formen dieser Ausstellung zunächst so nahe zu stehen scheinen, setzt Debora Kim bei näherem Betrachten eine Kunst von expressivem Subjektivismus entgegen:

Debora Kims Arbeiten dürfen sich dem rein kognitiven Zugang verweigern und statt dessen sinnlich erlebbar sein. Sie dürfen verlebendigt wirken und verletzlich, dürfen lyrisch und dramatisch sein. Sie dürfen Emotionen ansprechen und sensuelle Bedürfnisse wecken. Sie dürfen uns irritieren und uns mit dem Versprechen rätselhaft verschlüsselter Botschaften locken.

Erinnern wir uns an den Titel, den Debora Kim ihrer Ausstellung gegeben hat: „SpielRaum“ hat sie diese Werkschau überschrieben. Diesen Spiel-Raum mag man voreilig in den Räumen der Galerie selbst zu gefunden zu haben. Die eigentliche Spielräume aber, finden sich in und an den Objekten, in den Räumen, die entstehen, wenn Objekte von der Wand gerückt werden, oder garnumwickelte Tafeln sich in den Raum schieben, in den spannungsgeladenen Zwischen-Räumen zwischen einzelnen Elementen, auf den Ober­flächen, den Raum schaffenden Garnwicklungen, in den feinen linearen Raumstrukturen zwischen den Fäden, in denen das Licht spielt – und in den komplexen Streifen- und Farbfeldformationen, die reichlich Raum für Gedankenspiele schaffen.

Sich einzulassen auf das Spiel, des sinnlichen Schauens, Entdeckens und Assoziierens bleibt nun Sache des Betrachters, bleibt unsere Sache.

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