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Pia Kranz

Der Faden hat sich in der zeitgenössischen Kunst als Material einen festen Platz erobert. Künstlerinnen wie Leonore Tawney oder Fred Sandback haben ihm ein eigenes künstlerisches Gewicht gegeben und ihn aus dem textilen Gewebe und symbolhaft-narrativen Zusammenhängen herausgenommen. Auch in der puristischen Arbeit ‚Körper‘ von Debora Kim ist der Faden in seiner autonomen künstlerischen Qualität erfahrbar. Das Baumwollgarn vereint unterschiedliche künstlerische Mittel und Erscheinungsformen in sich: die Linie, das Kolorit, sowie Dreidimensionalität verbunden mit einer speziellen Haptik. Fasziniert von der Klarheit der Minimal Art, hat die Künstlerin deren Charakteristika für die eigene Arbeit fruchtbar gemacht.

In ‚Körper‘ erkennt man deren typische Merkmale wie Konzept, Serialität, Struktur und eine stark reduzierte Formsprache wieder. Die gesamte Wandarbeit besteht aus 180 gleichgroßen Einzelstücken, die als rechteckige Fläche wie ein Körper vor der Wand hängt. Jedes Einzelstück hat eine eigene Farbkombination und eine spezifische Verteilung der Farbfelder auf dem 10,5cm x 15,4 cm x 1,4 cm Holzkern. Kim berechnet jede mögliche Kombination. Wie eine Deklination werden alle Variationen einer Farbfolge erarbeitet. Das Garn wird, ohne weitere Befestigung durch einen Klebstoff o.ä, gleichmäßig um den Holzkern herum gewickelt. Nur von vorne betrachtet, erscheinen die Fäden übereinander geschichtet und erwecken den Eindruck eines beinahe geschlossenen Farbfeldes. Der räumliche Eindruck tritt in den Hintergrund. Der einzelne Faden liegt aber bereits als Körper auf dem Holz auf. Im Licht wirft er darum einen schmalen Schatten und definiert kaum sichtbare Zwischenräume. So entsteht keine geschlossene Farboberfläche, sondern eine sanft schimmernde, bewegte Oberfläche, die dennoch eine gleichmäßigen ‚Duktus‘ besitzt.

Kim verwendet industriell gefertigtes Material, das trotz der Verarbeitung unverändert bleibt und –ganz im Sinne der Minimal Art- keine persönliche Handschrift der Künstlerin trägt. Es ist ihr aber wichtig mit diesem organischen Naturmaterial zu arbeiten, einen dreidimensionalen Werkstoff in der Hand zu haben und ihn zu fühlen. Sie arbeitet weder mit Seidenfäden, noch mit Chemiefasern, sondern hat sich bewusst aufgrund der Haptik und des optischen Erscheinungsbildes für die Baumwolle entschieden. In die Farbkombinationen fließen die Naturerfahrungen der Künstlerin ein, die sie auf ihren Reisen gemacht hat, fast schon wieder vergessen hatte und die durch die Farbe der Fäden wieder sichtbar werden. Das Material wird zum Träger persönlicher Erfahrungen und ist durch die ‚Handarbeit‘ mit ihr verbunden.

Die Zeit klärt die Erinnerung, so die Künstlerin. Kim vertraut darauf, dass die wesentlichen Dinge im Gedächtnis bleiben und folgt während des künstlerischen Prozesses ihrer Intuition. Kunst ist absichtsloses Tun. Denkt man an das Konzeptuelle ihrer Kunst scheint dies ein Widerspruch zu sein. Aber genau aus dieser Spannung ergibt sich die Faszination ihrer Arbeit. Die Struktur erarbeitet sie mit dem Konzept, das Innere dagegen, ihre Erinnerung und damit das Wesentliche, kommt durch die Arbeit mit dem Material und die intuitive Findung der Farben an die Oberfläche. Damit werden ihre Arbeiten nie eine reine intellektuelle Spielerei, sondern tragen die Emotionen ihrer Schöpferin durch das Material und das Handwerkliche immer noch spürbar in sich.

Das Erlebnis der Klarheit durch Reduktion ist für die Künstlerin eine tiefe Freude, die sie auch an die Betrachter weitergeben möchte. Die Einfachheit und Klarheit ihrer Wandarbeit, gibt dem Betrachter die Möglichkeit, mit seiner Wahrnehmung immer zwischen dem einzelnen Objekt und dem großen Ganzen zu wechseln. Das gesamte Werk oszilliert zwischen körperhafter, skulpturaler Existenz und flächiger Anmutung. Das Einzelne birgt auf seiner Oberfläche eine Vielzahl von einzelnen Linien, die bei näherem Herantreten körperlich in ihrer Entität wahrnehmbar werden. Rückt man davon ab, verliert es das Körperliche, wird mehr Farbfeld, weniger eigenständiges Material. Das Serielle lässt sich in seiner Verdichtung und Öffnung als ein Sehprozess erfahren, der ohne Anfang und Ende, in ständiger Wiederholung erneut lesbar ist und durch die sinnliche Materialität niemals steril und selbstgenügsam wird.

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